Kommt das „Lieferkettengesetz“ nun doch noch in dieser Legislaturperiode? – Problemaufwurf und aktueller Stand der Diskussion
© Rechtsanwaltskanzlei Jochheim Rechtsanwälte, 2020
Bereits im Jahr 2011 hat der UN-Menschenrechtsrat die „UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ beschlossen, welche die Einhaltung der Menschenrechte in Wirtschaftsbezügen gewährleisten sollen. Im Jahr 2016 hat daraufhin die Bundesregierung den „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“ (NAP) verabschiedet. Seither prüft sie in einem Monitoring-Verfahren inwieweit deutsche Unternehmen derzeit bereits freiwillig ihren Sorgfaltspflichten im Hinblick auf Menschenrechte nachkommen. Im Koalitionsvertrag von 2018 hat sich die Regierung im Hinblick auf diese Entwicklung verpflichtet, eine nationale gesetzliche Regelung zu treffen, falls die wirksame und umfassende Überprüfung des NAP 2020 zu dem Ergebnis kommen sollte, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht. Auch für eine EU-weite Regelung wolle man sich in diesem Fall einsetzen.
Im März 2020 wurde das Eckpunktepapier des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bekannt, dass den möglichen Rahmen eines Lieferkettengesetzes vorgeben sollte. Am 14. Juli 2020 wurden schließlich die Ergebnisse des Monitoring-Verfahrens bekannt gegeben, aus welchen hervorging, dass im Jahr 2020 gerade mal 13 bis 17 % der betrachteten Unternehmen freiwillig ihren menschrechtlichen Sorgfaltspflichten in Erfüllung des NAP nachkommen, so dass nunmehr die Umsetzung der Verpflichtung aus dem Koalitionsvertrag ansteht.
Am 12. Februar 2021 wurde nach langem Ringen zwischen Arbeitsminister Hubertus Heil und Entwicklungsminister Gerd Müller auf der einen Seite und Wirtschaftsminister Peter Altmaier auf der anderen Seite einen Referentenentwurf für ein „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ vorgestellt. Das Gesetz soll noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden, das heißt bis zum 25. Juni 2021.
Auch auf europäischer Ebene wird das Thema weiter vorangetrieben. Bereits im April 2020 kündigte EU-Justizkommissar Didier Reynders an, im Jahr 2021 einen Gesetzesentwurf zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht vorlegen zu wollen. Mit Datum vom 11.09.2020 wurde der Entwurf eines Berichts mit Empfehlungen an die Kommission zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen des Rechtsauschusses veröffentlicht. Im Oktober 2020 eröffnete die EU-Kommission eine öffentliche Konsultation zu „sustainable corporate governance“, an der sich unterschiedliche Wirtschaftsakteure und öffentliche Institutionen beteiligen sollen. Die Umfrage endete am 8. Februar 2021.
In der klassischen Konstellation einer Menschenrechtsverletzung geht es um die Möglichkeit, ein inländisches Unternehmen zu belangen für die durch ein Tochter- oder Zulieferunternehmen verursachten Schäden im Ausland. Vertragliche Beziehungen bestehen aber zwischen dem Unternehmen in Deutschland und den Verletzten in aller Regel nicht. In Betracht kommt daher nur eine deliktische Haftung des inländischen Unternehmens.
Jedoch kann auf einen transnationalen Sachverhalt nicht ohne Weiteres das deutsche Deliktsrecht angewendet werden. Vielmehr ist zunächst nach den Regeln des internationalen Privatrechts zu ermitteln, welches nationale Recht auf den jeweiligen Sachverhalt angewendet wird. Nach der einschlägigen Norm (Art. 4 I Rom II-VO) ist primär das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eingetreten ist (Erfolgsort), d.h. in aller Regel das Recht des Produktionslandes. Die Haftung des Unternehmens richtet sich dann nach dem dort vorgesehenen Schutzstandard, der häufig hinter dem in Deutschland geltenden Standard zurückbleibt. Auch ist die Rechtsdurchsetzung mit Hilfe juristischer Institutionen oft nicht gewährleistet.
Selbst wenn aber im Einzelfall deutsches Recht zur Anwendung kommt, ist eine Haftung des inländischen Unternehmens keineswegs ausgemacht. Grundsätzlich ist nach deutschem Recht nur derjenige zum Ersatz eines einem Dritten entstandenen Schadens verpflichtet, der diesen selbst durch ein vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten verursacht hat. Diese Konstellation ist in den hier relevanten Fällen fast nie gegeben. In besonderen Konstellationen kann auch ein anderer als der Schädiger für einen Schaden haften (§ 278 und § 831 BGB), jedoch ist das ausländische Zulieferunternehmen normalerweise weder Erfüllungs- noch Verrichtungsgehilfe des inländischen Unternehmens. Der entstandene Schaden ist somit dem Unternehmen nicht zurechenbar, dieses trifft kein Verschulden. Ohne eigenes Verschulden scheidet nach dem deutschen Haftungsregime eine Verantwortlichkeit für einen Schaden aus.
Auch im Rahmen eines Konzerns kann das Verschulden eines möglicherweise im Ausland ansässigen Tochterunternehmens nicht einfach der Muttergesellschaft zugerechnet werden, da insoweit das Trennungsprinzip gilt. Diesem zufolge ist jede Gesellschaft juristisch selbstständig und haftet selbst für ihre Verbindlichkeiten. Eine konzernweite Durchgriffshaftung ist nur in besonderen Ausnahmefällen möglich.
Nach derzeitigem Stand kommt eine Haftung des inländischen Unternehmens für Menschenrechtsverletzungen durch ein Zulieferunternehmen im Ausland folglich praktisch nicht in Betracht, obwohl das inländische Unternehmen von den Tätigkeiten ihrer Tochtergesellschaften und Zulieferern wirtschaftlich massiv profitiert.
Bereits 2016 wurde die Richtlinie zur Erweiterung der Berichterstattung von großen kapitalmarktorientierten Unternehmen, Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Versicherungsunternehmen verabschiedet (sog. CSR-Richtlinie). Ziel der Richtlinie ist es, die Transparenz über ökologische und soziale Aspekte von Unternehmen in der EU zu erhöhen. Dabei geht es um Informationen zu Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelangen sowie die Achtung der Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption und Bestechung. In dieser Richtlinie kommt das europäische Ziel deutlich zum Ausdruck, sich hin zu einer nachhaltigen Unternehmenspolitik zu entwickeln. Hierdurch und durch das gestiegene gesellschaftliche Bewusstsein für nachhaltige Produktion wird bereits heute vor allem auf große, sehr bekannte Unternehmen enormer Druck ausgeübt, auch ohne rechtliches Erfordernis Entschädigungszahlungen an die Opfer zu leisten, da anderenfalls ein herber „Imageverlust“ droht.
Einige Mitgliedsstaaten haben bereits Gesetze zur nachhaltigen Unternehmensführung erlassen (FR, NL, IT). Im Februar 2017 wurde beispielsweise in Frankreich mit dem „Loi de Vigilance“ ein Gesetz verabschiedet, nachdem französische Unternehmen verpflichtet sind, menschenrechtliche Risiken auch in Tochterunternehmen und entlang der Lieferkette zu identifizieren und zu verhindern. Jedoch wurde dieses Gesetz durch das französische Verfassungsgericht hinsichtlich der Bußgeldvorschriften für teilweise verfassungswidrig erklärt. Das niederländische „Child Labour Due Diligence Law“ verpflichtet Unternehmen zur Einhaltung von Sorgfaltspflichten in Bezug auf Kinderarbeit und sieht bei Nichtbeachtung Beschwerdemöglichkeiten und Sanktionen vor. Neben Deutschland erwägen auch weitere Mitgliedsländer Maßnahmen zu ergreifen (FI, SE, AT, DK, BE, LU). Die EU-Kommission hält es der o.g. Konsultationsausschreibung zufolge jedoch für unwahrscheinlich, dass die Maßnahmen der Mitgliedstaaten allein ausreichend und effizient sind, da Nachhaltigkeitsprobleme eine globale Dimension haben und sich grenzüberschreitend auswirken (Klimawandel, Umweltverschmutzung). Es ist unwahrscheinlich, dass nationale Maßnahmen allein die Kurzfristigkeit von Unternehmen bekämpfen können, die die Kapitalmärkte in der EU generell kennzeichnet.
Auch mittels völkerrechtlicher Verträge ist eine Haftung der inländischen Unternehmen nicht zu erreichen, da das Völkerrecht ausschließlich Staaten bindet, nicht aber die Tätigkeit von Wirtschaftsunternehmen erfasst oder eine Zurechnung ermöglicht. Allerdings haben die vertraglichen Bestimmungen insoweit einen positiven Gehalt, als dass die jeweiligen Mitgliedsstaaten verpflichtet sind, Menschenrechtsverletzungen durch andere vorzubeugen, indem in relevanten Bereichen entsprechende Vorkehrungen getroffen werden. Die hier relevante Konstellation weist aber die Besonderheit auf, dass das Risiko der Menschenrechtsverletzung außerhalb des eigenen Staatsgebiets droht. Grundsätzlich beruht das Völkerrecht auf dem Grundsatz souveräner Staaten, aus dem ein Interventionsverbot resultiert. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist aber anerkannt für den Schutz fundamentaler Menschenrechte, der nicht mehr als rein innerstaatliche Angelegenheit angesehen wird. Vor diesem Hintergrund besteht zwar völkerrechtlich die Möglichkeit, zum Schutz vor Verstößen gegen Menschenrechte vorbeugende gesetzliche Regeln zu schaffen, eine entsprechende Verpflichtung hierzu besteht allerdings nicht.
a) Ziel der Gesetzesinitiative und Inhalte des Referentenentwurfs
Das Monitoring-Verfahren hat überdeutlich gezeigt, dass eine freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen den gewünschten und notwendigen Effekt im Hinblick auf den angemessenen Schutz von Menschenrechten nicht erzielen kann. Eine drohende Haftung im Inland hat daher ein erheblich größeres Potential als Anreiz zu dienen, auf die Einhaltung eines Rechtsstandards hinzuwirken.
Geschaffen werden sollte nach dem Eckpunktepapier daher eine Verkehrssicherungspflicht, die allerdings begrenzt ist auf angemessene und zumutbare Maßnahmen und stets nur soweit reicht, wie der tatsächliche Einfluss des jeweiligen Unternehmens. Innerstaatliche Regeln sollen dafür sorgen, dass Unternehmen auf die Einhaltung der Menschenrechts- und Umweltschutzbestimmungen innerhalb ihrer jeweiligen Lieferkette hinwirken. Konkret sah das Eckpunktepapier die Übernahme der Verantwortung innerhalb der Wertschöpfungskette vor. Unternehmen sollten künftig prüfen, „ob sich ihre Aktivitäten nachteilig auf Menschenrechte auswirken und angemessene Maßnahmen zur Prävention und Abhilfe ergreifen“. In den Anwendungsbereich sollten in Deutschland ansässige Unternehmen fallen, die mehr als 500 Mitarbeiter haben.
Die Sorgfaltspflicht sollte eine Risikoermittlung und -analyse umfassen, d.h. die Unternehmen ermitteln zunächst, ob ihre Aktivitäten und Geschäftsbeziehungen sich potentiell oder tatsächlich nachteilig auf international anerkannte Menschenrechte auswirken. Sodann werden Maßnahmen ergriffen, um negativen Auswirkungen vorzubeugen, sie zu minimieren oder beheben und zum Schluss wird die Wirksamkeit der Maßnahmen überprüft.
Wesentlicher Aspekt bei der Ausgestaltung der Sorgfaltspflicht wäre, dass es sich um eine Bemühungs- und keine Erfolgspflicht handelt. Unternehmen sollten bestärkt werden, nach Lösungen für einen besseren Schutz von Mensch und Umwelt zu suchen und nicht vom Haftungsrisiko abgeschreckt werden und sich zurückziehen. Die Sorgfaltspflicht würde dem Prinzip der Angemessenheit folgen: das geforderte Risikomanagement wird verhältnismäßig und zumutbar ausgestaltet. Kriterium hierfür ist insbesondere die Einwirkungsmöglichkeit des Unternehmens abhängig vom Näheverhältnis zum Zulieferer.
Zur Durchsetzung dieser Ziele sah das Eckpunktepapier eine zivilrechtliche Haftung der Unternehmen vor. Privaten Betroffenen sollte ermöglicht werden, vor deutschen Gerichten Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Ein Unternehmen hätte im Falle einer Beeinträchtigung haften sollen, wenn diese bei Erfüllung der Sorgfaltspflicht vorhersehbar und vermeidbar gewesen wäre. Die Beweislast hätte grundsätzlich beim Kläger gelegen. Eine Haftung wäre demgegenüber ausgeschieden, wenn im Rahmen der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten das Angemessene getan wurde und es dennoch zu einer Schädigung gekommen ist (Bemühungspflicht). Die Haftung sollte auf wesentliche Rechtsgüter wie Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und das allgemeine Persönlichkeitsrecht beschränkt werden.
Dass ein zu schaffendes Gesetz diesen Vorschlägen entsprechen würde, war angesichts der massiven Kritik, insbesondere aus der Wirtschaft, unwahrscheinlich. Gleichwohl sind viele Ansatzpunkte aufgegriffen worden. Der Referentenentwurf, soweit er bislang bekannt wurde, sieht dementsprechend eine abgestufte Verantwortung vor. Die höchsten Sorgfaltspflichten gelten für den eigenen Geschäftsbereich eines Unternehmens, die zweite Stufe für direkte Zulieferer, mit denen Vertragsbeziehungen bestehen: stellt das Unternehmen fest, dass die Verletzung einer geschützten Rechtsposition in seinem eigenen Geschäftsbereich oder seiner Lieferkette bereits eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht, hat es unverzüglich angemessene Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, um diese Verletzung zu verhindern, zu beenden oder zu minimieren. Im eigenen Geschäftsbereich muss die Abhilfemaßnahme zu einer Beendigung der Verletzung führen. Auf dritter Stufe für mittelbare Zulieferer soll es nur eine anlassbezogene Pflicht zum Tätigwerden geben, wenn ein konkreter Hinweis auf Verstöße vorliegt. Zu diesem Zweck müssen Unternehmen ein angemessenes Risikomanagement einführen, das eine Risikoanalyse auf erster und zweiter Stufe sowie Präventionsmaßnahmen und Abhilfemaßnahmen vorsieht.
Zudem sollen deutsche Hilfsorganisationen und Gewerkschaften, die sich für die Betroffenen einsetzen, gestärkt werden, indem diese im Wege der Prozessstandschaft die Ansprüche und Rechte der Betroffenen vor deutschen Gerichten durchsetzen können. Dabei geht es vor allem um den grundsätzlich bereits bestehenden zivilrechtlichen Anspruch (s.o.), dessen Durchsetzung, wenn er denn im Einzelfall tatsächlich gegeben ist, bisher zumeist an der Lebenswirklichkeit scheitert. Eine darüberhinausgehende zivilrechtliche Haftung, wie sie im Eckpunktepapier vorgesehen war, soll es nicht geben.
In den Geltungsbereich des Gesetzes sollen zunächst Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigen fallen, ein Jahr später dann Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigen, wobei für die Berechnung der Arbeitnehmerzahl ein konzernweiter Maßstab gilt. Kleine und mittelständische Unternehmen fallen folglich nicht in den Anwendungsbereich.
b) Geplante Umsetzung
Unabhängig von den konkreten Inhalten eines zukünftigen Gesetzes, stellt sich die Frage, wie es ausgestaltet werden soll und wie die Einhaltung der Vorgaben sichergestellt werden soll.
Bei der Ausgestaltung des zukünftigen Gesetzes ist der deutsche Gesetzgeber eingeschränkt durch die Vorgaben der Rom II-VO, welche Kollisionsfälle ausdrücklich regelt (s.o.) und als europäische Verordnung einer etwaigen nationalen Regelung vorgeht. Diese Kollisionsnormen können nicht einfach durch eine eigenständige deutsche Regelung ausgehebelt werden, da sie gerade der Rechtsvereinheitlichung dienen. Gleichwohl bleiben dem deutschen Gesetzgeber Gestaltungsspielräume. Eine verbleibende Möglichkeit, welche auch das Eckpunktepapier aufgriff, ist die Ausgestaltung des Gesetzes als sogenannte „Eingriffsnorm“ nach Art. 16 Rom II-VO. Eingriffsnormen sind nicht disponible Normen mit zwingender Geltung innerhalb ihrer Rechtsordnung, die auch von Kollisionsregeln unberührt bleiben, weil ihre Einhaltung vom jeweiligen Staat als so entscheidend für den Schutz seines öffentlichen Interesses angesehen wird, dass die Normen international durchgesetzt werden müssen. Bei einer Ausgestaltung des Lieferkettengesetzes entsprechend den Vorgaben des Art. 16 Rom II-VO würde die deutsche Eingriffsnorm insgesamt zur Anwendung kommen, unabhängig vom an sich nach der Rom II-VO anzuwendenden Sachrecht des Erfolgsorts.
Behördlicherseits soll das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhr als Kontrollbehörde fungieren, um die Risiken zu ermitteln und bewerten. Es soll einerseits bei der Umsetzung der Vorgaben unterstützen, andererseits aber auch berechtigt sein, vor Ort Kontrollen durchzuführen, Beweise zu sichern und ggf. Zwangs- und Bußgelder zu verhängen, die wohl bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes betragen können sollen. Denkbar wäre hier eine Verbindung mit dem geplanten Verbandssanktionengesetz. Außerdem sollen Unternehmen, die gegen die Vorgaben des Gesetzes verstoßen haben für bis zu drei Jahre von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden können. Zudem wird eine jährliche elektronische Berichtspflicht über die Erfüllung der Sorgfaltspflichten des Unternehmens im vergangenen Geschäftsjahr eingeführt. Innerbetrieblich obliegt die Umsetzung der Sorgfaltspflichten der Geschäftsführung.
Der Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments vertritt in seinem Berichtsentwurf mit Empfehlungen an die Kommission Auffassung, dass freiwillige Standards für die Sorgfaltspflicht schwerwiegende Beschränkungen aufweisen und dass die Union dringend Mindestanforderungen annehmen sollte, wonach Unternehmen die Risiken für die Menschenrechte, die Umwelt und die verantwortungsvolle Führung in ihrer gesamten Wertschöpfungskette ermitteln, ihnen vorbeugen, sie beenden, verringern, überwachen, offenlegen, Rechenschaft darüber ablegen, sie angehen und beheben müssen. Dies käme den Interessenträgern zugute und in Bezug auf Harmonisierung, Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen auch den Unternehmen. Es solle ein vorbeugender Mechanismus geschaffen werden, in dessen Rahmen die Sorgfaltspflicht die gesamte Wertschöpfungskette umfasst. Ein künftiger verbindlicher EU-Rahmen für die Sorgfaltspflicht müsse weit gefasst sein und alle Unternehmen abdecken, die dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegen oder im Gebiet der Union niedergelassen sind, unabhängig von ihrer Größe und ihrem Tätigkeitsbereich. Zur Durchsetzung der Sorgfaltspflicht sollen die Mitgliedsstaaten nationale Behörden benennen, um bewährte Verfahren auszutauschen sowie Sanktionen, einschließlich strafrechtlicher Sanktionen in schwerwiegenden Fällen, zu
überwachen und zu verhängen. Auch auf Unternehmenseben soll es einen Beschwerdemechanismus geben. Zudem soll auch nach diesem Berichtsentwurf eine zivilrechtliche Haftung der Unternehmen für Schäden von Opfern eingeführt werden, die Unternehmen unter ihrer Kontrolle verursacht haben oder zu denen sie beigetragen haben. Die Opfer sollen, gegebenenfalls per Notzuständigkeit, einen effektiven Zugang zu einem Gericht und die Möglichkeit erhalten, das Recht eines Rechtssystems mit hohen Menschenrechtsstandards zu wählen, bei dem es sich um das des Ortes handeln könnte,
in dem sich der Sitz des Unternehmens befindet.
In den wesentlichen Punkten besteht demnach Übereinstimmung mit dem am 12. Februar 2021 vorgestellten Referentenentwurf. In der Ausschreibung der öffentlichen Konsultation heißt es entsprechend auch: eine EU-weite Gesetzgebung würde ein Druckmittel darstellen und den Aufbau eines globalen Level Playing Fields für EU-Unternehmen ermöglichen, um unter nachhaltigen Bedingungen zu wirtschaften.
Die Ziele eines Lieferkettengesetzes sind hinreichend klar, gleichwohl sind bereits im Vorfeld einige Probleme bei der Umsetzung eines wie auch immer gearteten Gesetzes absehbar.
Das erste Problem ist, dass es keine einheitliche Definition für den Begriff der „Menschenrechte“ gibt. Aus diesem Grund wurde etwa auch das französische Gesetz für teilweise verfassungswidrig erklärt (s.o.): die Begriffe „Menschenrechte und Grundfreiheiten“ würden dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht genügen. Menschenrechte werden von den verschiedenen Kulturkreisen unterschiedlich verstanden, eine Übertragung des eigenen Maßstabs auf andere Rechtsordnungen kommt vor dem völkerrechtlichen Grundsatz souveräner Staaten (s.o.) auch nicht in Betracht. Wenn nun aber dieser unbestimmte Begriff zum Maßstab gemacht wird, birgt dies eine Gefahr großer Rechtsunsicherheit, so dass für die Unternehmen nicht erkennbar ist, an welchem Maßstab sie sich zu orientieren haben. Das Verständnis von Menschenrechten im Produktionsland könnte erheblich von den deutschen Vorstellungen abweichen, während die Menschenrechte nach deutschem Verständnis mit ihrem vergleichsweise hohen Schutzniveau nicht als allgemein gültig angesehen werden können. Bevor ein Gesetz zur Einhaltung unternehmerischer Sorgfaltspflichten im Hinblick auf die Achtung und Wahrung von Menschenrechten geschaffen wird, müsste der Gesetzgeber daher zunächst inhaltliche Mindestanforderungen an die Schlüsselbegriffe festlegen. Dementsprechend bezieht sich der Referentenentwurf zur Definition des Begriffes auf eine Liste verschiedener internationaler Abkommen – ob dies dem Bestimmtheitserfordernis genügt, bleibt abzuwarten.
Das nächste Problemfeld betrifft die zivilrechtliche Haftung der Unternehmen. Wie bereits erläutert dürfte eine solche nach aktueller Gesetzeslage selten genug gegeben sein. Dazu kommt, dass eine Verletzung der Sorgfaltspflicht stets ein haftungsbegründendes pflichtwidriges Unterlassen voraussetzt. Deutsche Unternehmen haben aber auf Zulieferbetriebe im Ausland oft gar keinen so großen Einfluss, als dass die Einhaltung menschenrechtlicher Standards gewährleistet werden könnte. Die Überwachung der Produktionsbedingungen innerhalb einer internationalen Lieferkette dürfte zudem nur durch ortskundiges Personal oder unabhängige Auditunternehmen möglich sein. Die Einhaltung der Kontrollpflichten – auch in der vorgesehenen Abstufung – ist daher nicht ohne weiteres möglich. Vor diesen Hintergrund stellt sich auch die Frage, wie größere Unternehmen, die oft mehrere tausend Zulieferer haben, es logistisch und ökonomisch bewerkstelligen sollen, alle Zulieferer im vorgesehenen Umfang zu kontrollieren und bei Verstößen Abhilfe zu schaffen.
Problematisch ist auch die Gefahr für Unternehmen, dass durch die von ihnen einzurichtenden Compliance-Richtlinien eine Selbstbindung entsteht, die neben der deliktischen Haftung zusätzlich zu einem neuen, vertraglichen Haftungsrisiko führt. In dem Bemühen eine (deliktische) Haftung zu vermeiden, könnte die Umsetzung des Gesetzes innerhalb der Unternehmen zu maximal strengen Verhaltenskodizes führen, denen sodann eine haftungskonstituierende Wirkung zukommen könnte. Anstatt die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zu erfüllen, wird Maßstab vielmehr eine „best practice“ eingeführt, was faktisch das Gegenteil des Gewollten zur Konsequenz haben könnte.
Bereits in diesem Vorfeld-Stadium zum geplanten Lieferkettengesetz gibt es heftige Kritik, vor allem aus der Wirtschaft. Hauptkritikpunkte sind, dass die Unternehmen durch die strengen Anforderungen einen Wettbewerbsnachteil erleiden werden und sich in der Folge möglicherweise aus den Produktionsländern zurückziehen werden, oder von Unternehmen aus anderen Ländern mit weniger strengen Anforderungen verdrängt werden und sich in der Folge die menschenrechtliche Situation in den Produktionsländern sogar verschlechtern könnte. Gerade die Wirtschaftsmächte Russland und China haben und planen keine vergleichbaren Regelungen. Ein globales Level Playing Field ist durch ein nationales oder auch europäisches Lieferkettengesetz daher nicht zu erreichen. Aber nicht nur für die Unternehmen in Deutschland oder in der EU besteht die Gefahr wirtschaftlicher Nachteile, auch in den Produktionsländern selbst drohen weitere Nachteile. Denn diese sind oft auf Investitionen und Arbeitsplätze durch ausländische Unternehmen angewiesen und wären in der Folge der Konkurrenz aus anderen Ländern mit geringen Schutzstandards ausgeliefert.
Zudem ist bedenklich, dass die Anwendbarkeit deutschen Rechts über die Konstruktion als Eingriffsnorm dem Geschädigten nur dann weiterhilft, wenn er daraus auch tatsächlich die Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung erhält. Da der Geschädigte sich in aller Regel aber im deutschen Recht nicht auskennt, ist er auf fremde Hilfe angewiesen, was die Entstehung einer „Klageindustrie“ begünstigen könnte. Die Geltendmachung der Ansprüche ist somit von Dritten abhängig und entsprechend von den einzelnen Geschädigten praktisch nur schwer durchsetzbar. Ob ein Vorgehen über die besondere Prozessstandschaft diesem Problem vorbeugen kann, wird man abwarten müssen. Umgekehrt besteht für Unternehmen die Gefahr, dass die zum Teil enorm hohen Streitwerte eine Erpressungswirkung entfalten und die Unternehmen hierdurch in Vergleiche gezwungen werden, nur um das Klagerisiko abzuwenden. Nicht zuletzt würde das durch ein Lieferkettengesetz gestiegene Haftungsrisiko auch der Endverbraucher durch steigende Preise zu spüren bekommen.
Nach den aktuellen Vorhaben laut Referentenentwurf und Berichtsentwurf des EU-Rechtsausschusses müssen Unternehmen sich jedenfalls auf erhöhte Anforderungen an ihre Corporate Social Responsibility bezüglich der eigenen Lieferketten einstellen. Die Umsetzung des Lieferkettengesetzes wird einen erheblichen Zeit- und Kostenaufwand bedeuten. Dem gegenüber steht jedoch das eingangs erwähnte gesamtgesellschaftlich gestiegene Bewusstsein für Nachhaltigkeit, so dass bereits der Wettbewerbsvorteil durch nachhaltige Produktion einerseits und die Gefahr eines Reputationsschadens im Falle negativer Berichterstattung andererseits ausreichend Motivation sein dürften, den Bestrebungen nach einer gesetzlichen Regulierung proaktiv zu begegnen.
Der Gesetzentwurf soll wegen der Belastungen durch die Corona-Krise zwar erst am 01. Januar 2023 in Kraft treten. In Anbetracht des hohen organisatorischen Aufwandes, der mit den Kontrollpflichten des geplanten Lieferkettengesetzes einhergehen wird, sind Unternehmen gleichwohl gut beraten, den Auf- und Ausbau eigener Compliance-Strukturen bereits jetzt zu fördern.
Stand: 16.02.2021